Familienferienstätten: Jede für sich und alle mit allen

Dorothea Sauerbeck (Leiterin einer Familienbildungsstätte) im Interview über die Bedürfnisse von Familien im Urlaub, die besondere Eignung von Familienferienstätten dafür und über Familien, die dort (nicht) glücklich werden.

Was sind die drei wichtigsten Argumente für Familien, ihren Urlaub in einer Familienferienstätte zu verbringen?

Erstens: die vielen Möglichkeiten, anderen Familien zu begegnen und sich von Generation zu Generation auszutauschen. Zweitens: die familienfreundliche Atmosphäre und die persönliche Zuwendung der Hausleitung und der Mitarbeiter zu ihren Gästen. Und drittens, was besonders kinderreichen und / oder einkommensschwächeren Familien den Urlaub überhaupt erst ermöglicht: die Möglichkeit, Zuschüsse vom Land oder aus anderen Quellen zu bekommen.

Wie groß ist denn der Anteil Ihrer Gäste, die solche Zuschüsse bekommen?

Ungefähr acht Prozent.

Mit einer familienfreundlichen Atmosphäre werben auch andere Urlaubsanbieter. Was unterscheidet Ihr Angebot zum Beispiel von Clubferien bei Aldiana oder Robinson?

Die Familien-Orientierung. Die Angebote in den Clubs sind viel stärker altersspezifisch ausgerichtet: Die Kleinsten gehen in den Mini-Club, Schulkinder in den Midi-und Jugendliche in den Maxi-Club, während die Mutter zum Seidenmalen und der Vater Mountainbiken geht. Bei uns können Eltern und Kinder gemeinsam zum Seidenmalen kommen oder sie grillen zusammen im Garten, ohne Altersgrenzen. Und natürlich sind die Ferien bei uns preiswerter, weil wir nicht gewinnorientiert arbeiten.

Gibt es auch Familien, die bei Ihnen nicht glücklich werden?

Das passiert selten, und zwar dann, wenn Gäste sich nur oberflächlich informiert haben und mit falschen Erwartungen hierherkommen. Die sind vielleicht enttäuscht, dass die Kinderbetreuung nicht ganztags stattfindet oder weil es in den Ferienwohnungen kein Fernsehen und keinen Internetanschluss gibt.

Positiv gewendet: Wer hat die besten Chancen, in einer Familienferienstätte schöne Ferien zu erleben?

Familien, die Lust darauf haben, mit anderen Familien in Kontakt zu kommen und etwas zu unternehmen. Sei es, dass ihre Kinder Gleichaltrige zum Spielen finden sollen oder dass die Eltern untereinander ins Gespräch kommen möchten. Alleinerziehende Eltern schätzen das ganz besonders.

Spielt das Alter der Kinder eine Rolle?

Mit Kindern bis 12 klappt’s auf jeden Fall, mit Jugendlichen wird’s gelegentlich schwieriger.

Sehr viele Ferienstätten haben kirchliche Träger. Wie wirkt sich das im Ferien-Alltag für die Familien aus? Ist das für manche vielleicht sogar eine Hemmschwelle?

Eine Hemmschwelle sicher nicht; es ist ja niemand verpflichtet, an Andachten oder anderen religiösen Angeboten teilzunehmen. Allerdings beobachten wir eine verstärkte Suche nach sinnstiftenden Erfahrungen im kreativen und im religiösen Bereich. Wir laden unsere Gäste deshalb zu entsprechenden Diskussions-und Meditationsangeboten ein und arbeiten eng mit der Urlauber-Seelsorge zusammen; die Atmosphäre bei den Gottesdiensten und Veranstaltungen dort erinnert mich manchmal ein wenig an Kirchentage. Zu der christlichen Basis-Orientierung gehört für uns aber auch, aufmerksame Gastgeber zu sein und ein offenes Ohr für die Fragen und Sorgen unserer Gäste zu haben, ob es dabei nun um ein krankes Kind oder um eine Ehekrise geht. Im Einzelnen unterscheidet sich die Ausprägung des religiösen Hintergrunds aber von Ferienstätte zu Ferienstätte; es gibt auch Häuser, die das gemeinsame Tischgebet vor den Mahlzeiten pflegen.

Sie setzen im Haus Seerose einen Mindestaufenthalt von sieben Tagen voraus. Warum? Sonst geht der Trend auf dem Markt doch eher in Richtung „kürzer, aber dafür öfter“ Urlaub machen.

Ja, aber dieser Trend tut Familien nicht gut; ein Urlaub von drei, vier Tagen bedeutet Abwechslung, aber keine Erholung. Diese Zeit reicht für Familien kaum, sich bei uns auf der Insel zu orientieren. Sie geraten unter Druck, ganz schnell „alles“ abzuhaken, ohne Chance, unsere verschiedenen Angebote kennenzulernen, geschweige denn, intensive Kontakte zu anderen Familien zu knüpfen und zu erleben, wie die ihr Zusammenleben organisieren. Auch innerfamiliär passiert in so kurzer Zeit nicht viel. Erst bei einem längeren Aufenthalt finden Mütter und Väter die Zeit, sich mal einen Tag lang gezielt und exklusiv „nur“ den Töchtern oder „nur“ den Söhnen zu widmen oder auch etwas Neues auszuprobieren.

Familien brauchen also Zeit, um von „Alltag“ auf „Urlaub“ umzuschalten?

Ja. Für die meisten ist es gewöhnungsbedürftig, plötzlich 24 Stunden am Tag in einer kleinen Ferienwohnung zu verbringen, ohne die im Alltag üblichen Rückzugsmöglichkeiten. Viele Erwachsenen brauchen erst einmal Erholung von ihren beruflichen und familiären Verpflichtungen; das begrenzt ihre Kapazitäten, sich intensiv aufeinander einzulassen. Außerdem haben besonders die Väter oft wenig Erfahrung damit, weil sie von Berufs-wegen ganz darauf geprägt sind, ihren eigenen Tätigkeiten nachzugehen. Manche schaffen es aber trotzdem, sich in den Ferien als Superpapa zu präsentieren.

Käme es der Erholung der Eltern nicht zugute, wenn sie sich zu den Mahlzeiten an einen gedeckten Tisch setzen könnten? Sie bieten im Haus Seerose „nur“ Ferienwohnungen an …

Das handhaben nicht alle Familienferienstätten so; die meisten bieten sogar Vollpension an. Ob ihnen das eine oder das andere lieber ist, muss jede Familie für sich entscheiden. Unser Konzept mit Selbstversorgung in Ferienwohnungen bietet Familien dafür mehr Rückzugsmöglichkeiten und die Chance, sich einerseits in Abgrenzung von den anderen bewusst als Gemeinschaft wahrzunehmen, aber auch im Kontakt mit den anderen Familien neue Impulse zu bekommen und selbst etwas Neues auszuprobieren: Wer kocht in der Familie, wer hängt die Wäsche auf? Wie gehen andere Eltern mit den Wünschen oder auch mit den Protesten ihrer Kinder um, wie sind die Kinder an der Organisation des Familienlebens beteiligt? So manches Kind hat hier schon seine ersten Erfahrungen damit gemacht, allein beim Bäcker einzukaufen oder für die Familie zu kochen.

Unsere Gäste schätzen die freie Zeiteinteilung; dazu gehört zum Beispiel auch, in der Mittagszeit genüsslich am Strand ein Picknick zu genießen.

Gehört dazu auch eine andere Rollenaufteilung zwischen den Eltern?

Unbedingt. Wir beobachten immer öfter, dass Frauen sich mit ihren Kindern im Spielzimmer oder anderweitig beschäftigen, während ihre Männer sich um das Essen kümmern. Oder dass Väter etwas mit den Kindern unternehmen, während die Mütter sich untereinander treffen und austauschen. Das ist eher eine Frauen-Domäne.

Urlaub in einer Familienferienstätte bedeutet also nicht, pausenlos „in Familie machen“ zu müssen?

Nein. Wie viel Zeit jeder für sich und alle zusammen brauchen, gewichten die Familien jeweils nach ihren eigenen Bedürfnissen; das ist vor allem wichtig, wenn ältere Kinder dabei sind. Wir helfen dabei zum einen mit einem vielfältigen Raumangebot vom Spielzimmer bis zum Leseraum, zum anderen mit Angeboten vom Kreativ-Kurs bis zu Fahrten mit dem Fischkutter. In unserem Fall trägt natürlich auch die Umgebung der überschaubaren, autofreien Insel Spiekeroog dazu bei, dass Eltern ihre Kinder ruhig einmal etwas allein unternehmen lassen können. Übrigens liegen auch die meisten anderen Familienferienstätten in landschaftlich reizvoller, ruhiger Lage.